Neue Anfänge sind selten laut. Und dennoch haben sie Auswirkungen auf alles, was nach ihnen kommt. Wie schmelzender Schnee, der leise aber stetig ins Wasser tropft, seine Kreise entgegen jeder Strömung malt und ankündigt, was bereits still begonnen hat: den Frühling. Warum also machen wir Menschen so viele unserer Ziele und Träume, so viele unserer Anfänge, von einem offensichtlichen, einem lauten Anfang abhängig? Von einem neuen Tag, einer neuen Woche, einem neuen Monat oder gar einem neuen (Lebens-)Jahr?
Wie oft habe ich mich selbst schon dabei ertappt, wie mir Sätze wie „Morgen fange ich an“ oder „Für nächstes Jahr habe ich mir vorgenommen…“ über die Lippen gingen und ich im gleichen Moment dachte: „Warum eigentlich nicht JETZT?“
GROßE ZIELE UND LAUTE ANFÄNGE
Und wenn ich ehrlich bin, dann haben viele meiner Neujahrsvorsätze in den vergangenen Jahren nur bis Februar gehalten. Warum sollte ich also warten meine Träume zu verfolgen oder meine Ziele zu definieren bis mit einem lauten Knall unter einem hell erleuchteten Himmel das alte Jahr vorübergeht und ich mir verspreche, dass dieses Jahr nun wirklich mein Jahr werden wird, in dem ich alle Vorsätze durchziehe?
Nicht, dass mich hier jetzt jemand falsch versteht: Ich bin ein großer Fan von Zielen und Träumen. Was wären wir ohne sie? Aber ich glaube nicht an das Konzept von lauten Anfängen, von jetzt oder nie, von heute auf morgen. Ich glaube an die Macht in den leisen Anfängen. An das Flüstern, das irgendwo in uns drin Wünsche weckt und Träume wachsen lässt bis in uns selbst zu wenig Platz ist und all das Erträumte aus uns heraus und über uns hinauswächst – im positivsten aller Sinne.
Ich glaube an die Macht in den kleinen Anfängen. An das Flüstern, das irgendwo in uns drin Wünsche weckt und Träume wachsen lässt.
Ich hatte diesen Blogpost schon längst in meinem Kopf formuliert, wusste genau worauf ich hinaus wollte und vor allem, wann ich ihn teilen wollte: zu Beginn des neuen Jahres. Zu der Zeit, in der sich viele Menschen neue Ziele stecken und sie diszipliniert verfolgen. Generell war mein Vorsatz hier viel häufiger zu schreiben. Aber auch meine Gedanken müssen sich erst einmal in mir entfalten, bevor sie über mich hinaus Kreise ziehen dürfen. Und vielleicht ist das jetzt sowieso der viel bessere Zeitpunkt. Ein ganz normaler Wochentag, irgendwann Mitte März. Kein Montag, kein Monatsbeginn und ein Zeitpunkt, an dem einige Menschen ihre guten Vorsätze von Anfang Januar schon wieder über Bord geworfen haben.
Ziele sollten keine Last sein. Nicht etwas, das uns das Gefühl haben lässt wir würden es uns unnötig schwer machen. Ziele sollten vielmehr eine Art Navigationshilfe sein. Etwas, das uns in regelmäßigen Abständen vor Augen führt, welche Hoffnungen, Träume und Wünsche in uns sind. Etwas, das uns erinnert. An den leisen Anfang in uns, der stetig seine Kreise zieht.
In der Vergangenheit habe ich mich oft selber getäuscht, wenn ich mir vorgaukelte alle Ziele, die ich mir am 31. Dezember für ein neues Jahr setzte, innerhalb kürzester Zeit zu erreichen, indem ich sie einmalig auf Papierschnipsel aufschrieb und dann klein zusammengefaltet in einer Dose außerhalb meiner Sicht aufbewahrte. Einige Dinge erreichte ich, bei anderen Themen wiederum war ich am Ende des Jahres sogar überrascht, dass ich sie aufgeschrieben hatte, so wenig im Sinn waren sie mir geblieben. Und als ich Mutter wurde und plötzlich Schlaf deutlich wichtiger war als bis Mitternacht an Silvester wach zu sein und das neue Jahr zu begrüßen, da ließ ich auch das Aufschreiben meiner Ziele sein – auch wenn ich natürlich nach wie vor welche hatte.
EINE VISION VOR AUGEN
Als mir meine Freundin Anfang 2023 ihr „Visionboard“ schickte, auf dem sie für verschiedene Bereiche ihres Lebens Ziele und Meilensteine in Bildern zusammengestellt hatte, fühlte ich mich inspiriert es ihr gleich zu tun. Der ganze Januar ging ins Land und erst Mitte Februar hatte ich ein paar Bilder auf einem Pinterest-Board gesammelt. Dabei standen die Bilder nicht immer für greifbare Ziele. Es war eher eine Sammlung von Bildern und Eindrücken, die mich und die Wünsche in mir ansprachen, ohne dass ich diese Wünsche genau benennen konnte oder musste. Sicherlich könnte man einzelne Ziele und Visionen noch vertiefen, mehr Bilder und Sätze über einen einzelnen Bereich seines Lebens zusammenfassen und so konkreter und greifbarer machen. Wahrscheinlich wäre das sogar sinnvoll. Dafür könnte man auch eine „echte“ Pinnwand benutzen. Für mich war es aber in erster Linie wichtig, weit(er) gefasste Motive zu verwenden, die mir mehr gaben als nur ein starr formuliert es Ziel. Mir war es wichtig, dass diese Bilder mir ein Gefühl vermittelten. Dass es Motive waren, von denen ich fühlte, für was sie stehen und an die ich täglich erinnert werden würde, denn der Screenshot meines Pinterest-Boards begleitete mich den Rest des Jahres 2023 als Handy-Sperrbildschirm.
Jedes Mal, wenn ich also auf’s Handy schaute um zum Beispiel die Uhrzeit zu checken, dann sah ich diese Bilder. Laut Studien schaut der durchschnittliche Smartphone-Besitzer bis zu 80 Mal am Tag auf sein mobiles Endgerät. Wenn man das mal auf ein Jahr hochrechnet, dann sieht man seinen Sperrbildschirm ganze 29.200 Mal – und das ist schon deutlich mehr als Papierschnipsel, die man zwei Mal im Jahr zu Gesicht bekommt, ein mal beim Schreiben und ein mal beim Öffnen.
Für mich war es unglaublich spannend als ich am Ende des Jahres diese „fremden“ Bilder durch Fotos aus meinem Jahr ersetzen konnte – teilweise sogar durch fast identische – und feststellte, dass jedes dieser Bilder, jeder dieser Wünsche auf seine Weise in mein Leben gekommen war. Und sogar der Satz, den ich inmitten all der Bilder ansprechend fand und ihn deswegen mittig auf mein Visionboard setze, hatte sich für wahr erwiesen. Denn, ohne dass zu Beginn des Jahres auch nur irgendetwas danach aussah, hatte ich ein Buch geschrieben und mein fertiges Manuskript bereits bei einem Verlag abgegeben.
Mein Pintererst-Board für 2024 gibt es schon seit Anfang Dezember 2023. Ich konnte es gar nicht erwarten Schönheit in Bildern zu suchen und mir selbst zuzusprechen. Denn genau so fühlen sich diese Ziele für mich seit letztem Jahr an: wie ein Zuspruch, wie ein Kompass. Sie sind keine Last, sie starten nicht laut. Alle Anfänge sind zuerst leise in uns. Wir müssen nur lernen sie zu sehen und ihnen Platz und Zeit zum Wachsen gewähren – zu jeder Zeit, auch Mitte März.