An einem Sonntag Anfang 2019 unterhielt ich mich mit jemandem aus unserer Gemeinde. Nach einer Weile kamen wir auf Urlaube zu sprechen und er berichtete, dass er und seine Frau günstige Flüge nach Marrakesch gebucht hatten von wo sie im Oktober einen Roadtrip bis in die Sahara starten wollten. Ich erzählte von unserem Marokko-Urlaub, der zu dem Zeitpunkt nur ein paar Monate zurück lag. Wir verbrachten zwei Wochen in der verschlafenen Hafen(klein)stadt Saidia nahe der algerischen Grenze. Anstatt bunter Märkte, Gewürzen und dem gewissen Hauch Abenteuer bekamen wir eine Geisterstadt außerhalb der Saison, in der fast alle Läden geschlossen hatten und mit Einbruch der Dunkelheit an allen Ausgängen des Hotels Wachleute stationiert wurden und man uns riet, das Gelände nicht mehr zu verlassen. Schon während unseres Urlaubs dort machte ich Pläne, welche marokkanischen Städte und Gegenden ich noch sehen wollte: Marrakesch, Fès, Taghazout, die Atlasregion und eine Oasenstadt in der Sahara. Denn nach diesen zwei Wochen hatte ich nicht das Gefühl, dass ich wirklich etwas von Marokko erlebt hatte – vielleicht mit Ausnahme des Nervenkitzels der 70 Kilometer langen Taxifahrt zum Hotel mitten in der Nacht in einem alten Mercedes aus den 70er Jahren, der bereits über 1.000.000 Kilometer auf dem Tacho hatte und wirkte als würde er jeden Moment zusammenklappen. Zudem konnten wir uns nur mit Händen uns Füßen mit dem Taxifahrer verständigen und darauf vertrauen, dass er uns auch wirklich zu unserem Ziel und nicht irgendwo anders hinbrachte. Als Andenken an den Urlaub und ein bisschen auch für unser fehlendes Erlebnis eines belebten Marktes in Marokko kauften wir ein Ölgemälde eines Künstlers im Ort, das uns nun täglich daran erinnerte, was wir eines Tages noch erleben wollten.

WENN EIN INTROVERT EINEN EXTROVERTIERTEN MOMENT HAT

„Aber eine Nacht in der Sahara steht auf jeden Fall noch auf meiner Bucket List“, beendete ich meinen Vortrag und die Antwort unseres Bekannten (ja, ihr lest richtig: nur ein Bekannter) kam prompt: „Kommt doch einfach mit. Wir wollen in Zagora zwei Nächte bleiben und machen uns dann wieder auf den Weg in Richtung Atlasgebirge.“ Und ich hörte mich zustimmen.

Noch am selben Abend buchten wir denselben Flug nach Marokko und zweifelten danach direkt an unserer Entscheidung. Schließlich kannten wir unsere Mitreisenden ja gar nicht wirklich. Aber vielleicht mussten wir ja auch nicht alles zusammen machen, nicht dieselben Unterkünfte buchen und würden uns letzten Endes nur die Fahrtwege teilen, sprachen wir uns Mut zu.

Einige Zeit vor Abflug trafen wir uns, um die Route miteinander abzustimmen, sodass wir zumindest zur gleichen Zeit im selben Ort eine Unterkunft buchen konnten. Am Ende des Abends hatten wir für jeden unserer Stopps – außer für die letzte Nacht in Marrakesch – dieselben Unterkünfte gebucht und meine Vorfreude auf diese Reise war genauso groß wie meine „Angst“. Ich hoffte einfach, dass wir uns nicht nach einem Tag schon satt hatten und genervt waren, weil wir alle kommenden Stopps noch gemeinsam erleben „mussten“.

DIE GEPLANTE ROUTE FÜR 7 NÄCHTE (OKTOBER)

  • 2 Nächte Marrakesch
  • 1 Nacht Ait Ben Haddou
  • 2 Nächte Zagora
  • 1 Nacht Ait Ibourk
  • 1 Nacht Marrakesch

BEREIT FÜR 1001 NACHT

Unser Flug startete erst kurz vor 22 Uhr ab Frankfurt Hahn. Und ähnlich wie ein Jahr zuvor in Saidia vertrauten wir dem Fahrer, der uns um Mitternacht am Flughafen abholte, dass er uns sicher durch das Labyrinth der Medina zu unserem Riad brachte. Denn keiner aus unserer kleinen Reisegruppe konnte französich, arabisch oder gar tamazight sprechen.

Angekommen im Riad wurden wir gebeten im großen Innenhof Platz zu nehmen und bekamen unseren ersten von vielen Minztees serviert. Unser Host unterhielt sich noch eine Weile mit uns (bzw. besser gesagt mit den Männern), bevor wir unsere Zimmer gezeigt bekamen. Da wir unsere Fahrten zwischen den Unterkünften noch nicht gebucht hatten, fragten wir am nächsten Tag, ob er jemanden kannte, der uns nach unserer zweiten Nacht über das Atlasgebirge nach Ait Ben Haddou fahren könnte. Wir schilderten unsere Reiseroute und es stellte sich heraus, dass sein Cousin der Host der Unterkunft war, die wir in Zagora gebucht hatten, sodass er uns bereits jetzt Quad- oder Kameltouren verkaufen wollte.

Nach einem ersten (sehr) süßen Frühstück machten wir uns auf den Weg, um die Medina zu Fuß zu erkunden. Wir liefen durch tausende enge Gassen und jedes Mal erwartete uns etwas ganz Neues an einer Abzweigung oder am Wegesrand. Es waren sehr viele von Maultieren gezogene Holzkarren auf den schmalen Wegen unterwegs, teilweise transportierten sie Lebensmittel, teilweise Ziegelsteine oder andere Baumaterialien. An jeder Ecke strömte ein neuer Geruch in unsere Nasen. Man musste aufpassen, dass man nicht von einem der viel zu schnell fahrenden Roller in der Stadt erfasst wurde. Es war die komplette Reizüberflutung.

Unseren ersten Minztee-Stopp legten wir am Place de Éspices im gleichnamigen Café des Espices ein. Von dort konnte man den trubeligen „Platz der Gewürze“ hervorragend überblicken, auf dem weniger Gewürze und mehr Körbe, allerlei Flechtwaren und Teppiche verkauft wurden. (Spoiler: Das Café gefiel uns so gut, dass wir am nächsten Tag direkt wiederkamen.) Zum Mittagessen hielten wir in irgendeiner Gasse an einem etwas versteckten Lokal mit Dachterasse, der Terasse Bakchich, die mit Top-Empfehlungen von Tripadvisor warb, um dort eine Tajine zu essen. Das Essen überzeugte uns alle leider nicht, aber irgendwie hatte es auch etwas bei dem Ausblick über all die flachen Dächer, auf denen gerade auch gefühlt an jeder Ecke Baustellen waren, bis hin zur Ben Youssef Moschee. Als über die Lautsprecher auf dem benachbarten Dach dann der Ruf des Muezzins zum Gebet zu hören war, mussten wir unsere Gespräche beenden weil dieser Ruf alles übertönte.

Auch am Nachmittag bahnten wir uns weiter unseren Weg durch die Medina und besuchten den Jardin Majorelle, der uns wie eine Oase in dieser staubigen (und teilweise stinkenden), vollen Stadt vorkam. Unseren Nachmittagstee tranken wir passend dazu im LE JARDIN im grünen Innenhof. Als wir abends auf der Dachterasse vom Bigua Café & Restaurant mit Blick auf den beleuchteten Markt unter uns – wie der auf unserem Bild aus Saidia – und den bunten Abendhimmel über uns den ersten Tag in Marrakesch sacken ließen, kam ich mir kurz vor wie in 1001 Nacht.

PLANÄNDERUNG AN TAG 2

Unser Host hatte uns einen Fahrer organisiert, der uns gegen Mittag abholen und in Ait Ben Haddou abliefern sollte. Den Vormittag verbrachten wir also noch mal mit einem Gang durch die Medina und einem Tee bei Café des Espices. Als wir in Saids Auto saßen und gerade das Treiben von Marrakesch hinter uns gelassen hatten entschieden wir unsere Route umzuschmeißen. Wollten wir wirklich so viel Zeit damit verbringen von Ort zu Ort auf den unwegsamen Straßen und insbesondere bis in die Wüste zu kommen? Die Zeit in Zagora war eigentlich unser Highlight der Reise, unser eigentliches Ziel, der Grund, warum ich zusagte mitzukommen. Und dennoch strichen wir es von unserer Route, um mehr Zeit an den anderen Orten zu verbringen und die Kultur auch mehr kennenzulernen. Was im Nachhinein auch genau die richtige Entscheidung war. Und so gern ich auch in die Wüste wollte (und immer noch will): Ich würde immer wieder genau so entscheiden.

Wir fragten also die restlichen beiden Unterkünfte an, ob wir eine Nacht länger bleiben bzw. eine Nacht früher kommen konnten und beide bestätigten uns super schnell, dass das gar kein Problem war.

MUST VISIT: AÏT BEN HADDOU

Nachdem Said uns in Aït Ben Haddou (im neuen Teil davon) abgesetzt hatte und wir wahrscheinlich viel zu viel Zeit für die Fahrt bezahlten, ging unser Abenteuer weiter. Wir mussten erst mal den Weg zu unserer Unterkunft im UNESCO Weltkulturerbe finden. Von unserem Host Mohamed hatten wir die Wegbeschreibung bekommen, dass wir zu der Kasbah mit dem Storchennest auf dem Turm kommen sollten. Unser Weg führte uns durch ein ausgetrocknetes Flussbett, direkt in die am Berg gebaute Lehmstadt. Es fühlte sich an wie ein Geheimgang, durch den wir schließlich im Innenhof der Kasbah Tebi ankamen. Im Hof stand ein Webrahmen und daneben lagen stapelweise bunte Teppiche. Es roch schon unglaublich gut nach Essen, das schon über dem Feuer zubereitet wurde. Natürlich wurden wir mit einem Minztee und etwas Gebäck begrüßt.

Uns wurden unsere Zimmer gezeigt, die komplett ohne elektrischen Strom auskamen. Es brannten Kerzen und es fühlte sich an wie in einer gemütlichen Höhle angekommen zu sein. Mohamed fragte, ob wir in der Kasbah zu Abend essen wollten und wir bejahten. Er empfahl uns außerdem noch den Weg durch die Stadt nach oben auf uns zu nehmen, um den Sonnenuntergang von dort zu beobachten.

Abends saßen wir bei Kerzenlicht im Innenhof unter dem Sternenhimmel und bekamen die absolut beste Tajine serviert. Wir hörten die Hunde (oder zumindest dachten wir das) in der Ferne heulen, vernahmen leise den Gebetsruf des Muezzins aus dem neueren Teil der Stadt, aber ansonsten war es ganz still. Der komplette Kontrast zu Marrakesch. Nach dem Essen gingen wir aufs Dach der Kasbah, legten uns auf den warmen Lehmboden und beobachteten die Sternschnuppen ohne jegliche Lichtverschmutzung.

Schon jetzt fühlte es sich so richtig an, hier mehr Zeit als geplant zu verbringen.

Am nächsten Tag starteten wir auf Empfehlung von Mohamed und seinem Bruder Hassan, der sogar ein bisschen Deutsch sprach, eine Wanderung durch das Flussbett zur Kasbah Tamdakt. Zurück wurden wir von zwei jungen Marokkanern mitgenommen, die wir als Dankeschön dafür zum Essen einluden – und sie bestellten für uns alle. Sie konnten kein Englisch und wir keine der Sprachen, die sie sprachen, sodass wir uns mit Händen uns Füßen verständigten. Aber irgendwie funktionierte auch das.

Später gab es von Mohamed eine Einführung in die Kunst des Teppichknüpfens. Er erklärte uns ein paar immer wiederkehrende Zeichen auf den Berberteppichen und auch, woran man beispielsweise erkennen konnte, ob Teppiche wirklich alt oder gerade erst geknüpft worden waren. Hassan erklärte uns zudem etwas über die Bauweise der Lehmhäuser und die Symbole, die dort eingebaut sind. Die Symbole, die die Kasbah Tebi zierten und mir dabei besonders im Gedächtnis blieben, waren der sogenannte „Bienenschnabel“ und Dreiecke. Der Bienenschnabel symbolisiert dabei Gastfreundschaft, denn „Bienen gehen nur dahin, wo es süß ist“ und die Dreiecke zeigen an, dass es immer einen Weg gibt.

Es war so spannend so in die Besonderheiten der Kultur einzutauchen und gab mir so viel mehr als das Feilschen und Verkaufen wollen auf den Märkten in Marrakesch. Irgendwie hatte man oft das Gefühl übers Ohr gehauen zu werden, aber in der Kasbah Tebi fühlte sich das Interesse und das Engagement immer ehrlich an. Mohammed hat nicht ein Mal versucht uns einen Teppich zu verkaufen, obwohl er dazu Sher viele Gelegenheiten gehabt hätte.

ROADTRIP IN DEN HOHEN ATLAS

Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns von Mohamed und Hassan, nachdem wir einen letzten Minztee miteinander getrunken hatten. Mohamed hatte einen Freund, der Taxifahrer war, gebeten uns nach einer kleinen Rundtour durch das Ounila Tal sicher in unserer nächsten Unterkunft in Aït Ibourk abzuliefern.

Auf unserem Weg dorthin zeigte er uns eine Salzmiene, Bonbonkraut und nicht selten begegneten wir Mauleseln auf der Straße die auch hier zum Transport von allerlei Dingen genutzt wurden. In Teloet schauten wir uns die sehr marode wirkende Kasbah an und aßen auch hier etwas – aber nichts konnte der Tajine der Vortage das Wasser reichen.

In Aït Ibourk wurden wir im Guesthouse Irocha direkt herzlich in Empfang genommen. Auch hier war es vor allem ruhig. Ahmed, unser Host, zeigte uns seine Kooperative, in der er die Frauen aus dem Dorf dabei unterstütze in einem geschützten Rahmen ihre Teppiche zu machen und diese dann auch für einen fairen Arbeitslohn zu verkaufen. Das Guesthouse war sehr gemütlich. In dem kleinen Esszimmer kam man schnell mit anderen Gästen in Kontakt – vorallem der extrovertierte Part unserer Reisegruppe -, aber vor allem „freundeten“ wir uns mit einem jungen Angestellten Abdel, an. Dieser teilte in unserer Zeit in Aït Ibourk auch sein Minzteerezept mit uns – und dieser Minztee war der beste, den ich während unserer Reise trank:

Die Zeit in Aït Ibourk war es uns fast langweilig. Nur eine Nacht dort oder ein paar vorher geplante Ausflüge in der Gegend wären wahrscheinlich gut gewesen. Wir machten nach wie vor (fast) alles gemeinsam zu viert und dennoch gingen wir uns gegenseitig noch nicht auf den Geist. Wir legten einen Pool-Tag ein und sprangen in den Pool, der mit Wasser aus den Bergen befüllt war. Dass er im Oktober so kalt war, dass man das ganze schon Eisbaden nennen konnte, fanden wir erst heraus, als wir schon darin waren.

HAPPY END

Nach der Fahrt zurück über das Atlasgebirge – diesmal deutlich günstiger in einem Sammeltaxi (ein Mitreisender hatte ein Huhn dabei) – verbrachten wir unsere letzte Nacht im Riad Les Ammonites, während unsere Freunde noch mal im Riad der ersten Nächte schliefen. Es war eine schöne Abwechslung mal einen Hund im Riad zu streicheln, wo in der Stadt und in den Orten, die wir besucht haben eher Katzen zu finden waren. Abends trafen wir uns nach getrennten Touren durch die Stadt wieder am Place des Èspices bei NOMAD. Es war ein gebührender Abschluss dieser Reise. Es gab gutes Essen, es roch nach Gewürzen, wir beobachteten das Treiben auf dem Platz und feierten, dass wir uns nach einer Woche immer noch leiden konnten und – noch mehr – mittlerweile sogar Freunde waren.

FAZIT

Was ich nicht (uneingeschränkt) empfehlen würde:

  • Mit flüchtigen Bekannten in so einen Urlaub zu fliegen, ABER ich bin sehr dankbar dafür, dass auch durch diesen Urlaub so eine gute Freundschaft entstanden ist.
  • Alleine als Frau(en) in Marokko zu reisen – insbesondere unser erster Host hat nur mit den Männern gesprochen, selbst wenn wir Frauen etwas eingeworfen haben. Außerdem sind die Kommentare gegenüber Frauen (Catcalling etc.) deutlich häufiger als in Deutschland und fühlten sich für mich auch schon „eklig“ an.
  • Teppiche in Marrakesch zu kaufen – ich würde jederzeit lieber bei unseren Hosts aus Ait Ben Haddou oder Ait Ibourk fragen, ob man einen Teppich kaufen kann, auch wenn dieser ggf. teurer ist als nach Handel in Marrakesch, denn dafür werden die Knüpferinnen gerecht entlohnt.
  • Frühstück in Marokko – war mir einfach immer zu süß, aber dafür freut man sich nach einer Woche umso mehr auf Essen Zuhause.

Was ich absolut empfehlen würde:

  • Alle im Text verlinkten Orte sind auf ihre Weise empfehlenswert – ganz besonders Kasbah Tebi.
  • Im Oktober nach Marokko zu reisen, wenn man einen Städtetrip plant oder generell viel draußen unterwegs sein und nicht nur in der Sonne liegen will.
  • Minztee-und Tajine-Tasting sind ein Muss in Marokko.
  • Zeit dafür einzuplanen, die Kultur kennenzulernen – denn man verpasst so viel, wenn man nicht ein bisschen in diese Welt eintaucht.

Alles in allem kann ich nur sagen: SHUKRAN MAROKKO, du warst gut zu uns.